Ingeborg Knigge   Rezension der Ausstellung in der Galerie Freiraum

Würdigung des Wasserkochers

Die Fotos von Ingeborg Knigge ermöglichen einen verblüffenden Blick auf unseren Alltag.


Have you done your duty, hast du deine Pflicht getan? Dieser Satz, den man in englischen Jugendherbergen liest, war für Ingeborg Knigge der Anstoß, jeden Tag einen Gegenstand aus ihrem Alltag zu fotografieren, an dem oder mit dem sie eine Tätigkeit verrichtet hatte. Seit 1991 macht die 1955 im hessischen Melsungen geborene, inzwischen in Saarbrücken lebende Fotografin das. Und so ist inzwischen eine Sammlung aus mehr als 5000 Fotos entstanden, die in kleinen schwarz-weißen Momentaufnahmen festhalten, was den Alltag überhaupt erst zum Alltag macht. Eine Auswahl aus diesem fotografischen Alltagskonvolut, systematisiert in der Tag-für-Tag-Aneinanderreihung einer Wochenstruktur, ist derzeit in der Freiraum Galerie ausgestellt.

Unscheinbare Dinge
Es sind die schlichten, unscheinbaren Dinge des Haushalts, die gewöhnlich keiner Würdigung für Wert erachtet werden, die Knigge in ihren 9 mal 13 großen Schwarz-Weiß-Fotos zeigt: gefaltete Küchentücher, der Ablauf und die Wassertropfen im Waschbecken, Treppenstufen, abgestellte Schuhe, der Schrubber auf dem Kachelfußboden, Spiegelungen in der Edelstahlummantelung des Wasserkochers, ein Eimer auf dem Gartenweg, die Fadenstruktur eines Wollpullovers, aus der Wand ragende Stromkabel oder Kartoffelschalen auf einem Holzbrett. Die Fotos machen sichtbar: Unser Leben ist vor allem ein bedingtes Leben. Die Dinge, mit denen wir täglich umgehen, weisen uns den Weg zu unseren Tätigkeiten und durch den Tag. Sie zeigen uns, wer wir sind und was wir machen können. Wir halten uns an ihnen fest, entwickeln uns mit und gegen sie. Die Dinge geben uns ein Gefühl dafür, was schön und was hässlich ist. Und sie formen unsere Erfahrung von Kindesbeinen an mehr als alles andere. Unweigerlich verweisen die Fotos von den Gegenstände in Ingeborg Knigge Alltag auf die Dinge in unserem eigenen Leben: das eigene Waschbecken, die Knöpfe auf der eigenen Strickjacke, die eigenen Löcher in den Socken, die Jalousien vor dem Fenster und die Kleidersäcke mit den Winterdecken unter dem Bett.
So wie in dieser Bildserie wird die Bedeutung der gewöhnlichen Dinge des Alltags selten gewürdigt und zum Zentrum des Nachdenkens gemacht. Über jeden dieser fotografierten Alltagsgegenstände werden wir auf eine Tätigkeit, eine Erinnerung, eine Empfindung verwiesen. Zugleich wird selten so schlicht und nachdrücklich vor Augen geführt, wie schön all diese banalen Dinge sind. Mit jedem Griff und jedem Blick lassen sie uns spüren, aus welchem Material die Welt ist und dass wir leben. Thomas Mann hatte einmal geschrieben, Tagebuch zu schreiben setze die völlige Unbekanntschaft mit der eigenen Existenz voraus. Ingeborg Knigge demonstriert mit ihrem fotografischen Tagebuch dagegen, wie die Bekanntschaft mit den alltäglichen Dingen Tag für Tag zur Selbstvergewisserung wird. Es ist eine Selbstvergewisserung, die weiß, dass sich viele Tätigkeiten mit vielen Dinge unaufhörlich wiederholen. Und gerade darin liegen nicht nur Gewohnheit und Vertrautheit, sondern, bewusst oder unbewusst, zugleich die ständige Chance zur Neu-Entdeckung der Dinge und der Welt.

Freiraum Galerie, Gottesweg 116a, Di-Fr 11-13, 16-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr, bis 8.5.

Jürgen Kisters
©2007 Kölner Stadt-Anzeiger   1. Mai 2007