Bei Ingeborg Knigge geht es um Motive der äußeren Realität, es geht aber hierbei nicht vorrangig um die Motive selbst, sondern um einen Begriff von Wirklichkeit und um die Verschiebung von Realitätswahrnehmungen. In der künstlerischen Fotografie - so, wie Ingeborg Knigge sie einsetzt - geht es nicht nur um das Abbilden von Wirklichkeit, sondern auch um das Entfalten von Wirklichkeiten.
In der Ausstellung »Stadtbilder« zeigte Ingeborg Knigge Beispiele aus den zwei Werkgruppen »I-Scapes« und »Auto-Scapes«. Beide Serien befassen sich mit städtischen Situationen in je unterschiedlicher motivischer Orientierung. Vordergründig in der Bildgestalt völlig verschieden, verbinden sich die »Stadtbilder« inhaltlich doch auf subtile Weise. In den »I-scapes«, Schwarzweiß-Fotografien, arbeitet Ingeborg Knigge mit einer für den Betrachter zunächst nicht erkennbaren Montagetechnik, die zwei Bildelemente so komponiert, dass eine neue, bisweilen nicht funktionable Raumrealität entsteht. Die Fotos entstammen dem Archiv der Künstlerin und sind zunächst einmal als gültige Einzelbilder zu verstehen und würden so auch ohne die Montage funktionieren. Ingeborg Knigge "baut« diese Bilder nun übereinander oder nebeneinander. Und es entsteht durch diese Montage, die eine sehr bewusste gestaltende Handlung ist, eine neue Situation, die unserer Realitätserfahrung nicht gerecht werden kann, die aber bildkompositionell funktioniert. Es kommt zu Dimensionssprüngen, Perspektivwechseln und motivischen Diskontinuitäten.
Die »Auto-Scapes« fangen städtische Architektur als Spiegelungen in Fahrzeugkarosserien ein. Dabei entsteht in der Betrachterwahrnehmung ein beständiges Changieren, das sich zwischen dem »bildgebenden« Objekt - der Autokarosserie - und dem abgebildeten Gegenstand - der städtischen Architektur - bewegt. Ist bei den »I-Scapes« der kompositioneile Gedanke der analogen Montage leitend, so wird bei den »Auto-Scapes« ein permeables Durchdringungsverhältnis im simultanen Bildereignis anschaulich.
Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten zeichnen sich die Fotografien von Ingeborg Knigge durch einen hohen Grad an Authentizität aus. Kein Bild wird nachträglich in seinem Realitätscharakter manipuliert, die Wirklichkeit des Motivs bleibt gewahrt und dennoch werden in den Arbeiten von Ingeborg Knigge polyvalente Deutungsvariationen ermöglicht.
Andreas Beyer
© Alle Rechte liegen beim Autor. 29. April 2012